A TRAUM
Es war der Sommer der EURO 2008.
In Wien, Salzburg, Klagenfurt und Innsbruck wurde in den Fanzonen
gerade zusammengekehrt, der ÖFB machte sich auf die Suche nach einem
Teamchef-Nachfolger für Josef Hickersberger und wurde in Olmütz bei
Karel Brückner fündig, Wacker Innsbruck hatte einen Abstieg zu verdauen
und der Kapfenberger SV erholte sich von den Aufstiegsfeiern.
Und es war natürlich Transferzeit. Vier Eurofighter bestimmten die
Schlagzeilen. Sebastian Prödl verließ den SK Sturm in Richtung Werder
Bremen, Jürgen Säumel wechselte von den Grazern zum FC Torino,
Mattersburgs Christian Fuchs unterschrieb beim VfL Bochum und
Rapid-Shootingstar Ümit Korkmaz wurde an Eintracht Frankfurt verkauft.
Nur eine Randnotiz
Dass zwei GAK-Talente in diesem Sommer ebenfalls den Sprung ins Ausland
wagten, war nur eine Randnotiz. Kein Wunder, waren die „Roten“ aus Graz
doch vor einem Jahr aus finanziellen Gründen in die Regionalliga Mitte
abgestürzt. Unter der Anleitung von Routinier Martin Amerhauser vertrat
dort eine junge Truppe den Klub, der die teure Zeche für den
Meistertitel 2004 bezahlen musste.
Der 18-jährige Dieter Elsneg
stand regelmäßig auf dem Platz, der 17-jährige Robert Gucher kam
sporadisch zum Einsatz. Beide standen bei Manager Max Hagmayr unter
Vertrag. Der Oberösterreicher war auf der Suche nach einem neuen
Betätigungsfeld für das Duo. „Weil der GAK kein Geld mehr hatte und in
weiterer Folge ja auch in Konkurs gegangen ist“, erinnert er sich.
Bild: GEPA
Gucher als Teenager im GAK-Trikot
„Die Ablösesumme, die der GAK damals verlangt hat, war relativ hoch,
weshalb es nicht so einfach war, innerhalb Österreichs zu wechseln“, so
Hagmayr weiter. Also vermittelte er Gucher und Elsneg nach Frosinone.
Selbst ausgewiesene Italien-Kenner sahen sich damals gezwungen, „Google
Maps“ anzusteuern, um das 50.000-Einwohner-Städtchen
Stirnrunzeln und Zurückhaltung
Auch der dort seit 1912 existierende Klub war so gut wie niemandem ein
Begriff. Dass Frosinone Calcio im Sommer 2006 erstmals in der Geschichte
den Aufstieg in die zweithöchste Spielklasse geschafft hatte, war
hierzulande weitgehend unbemerkt geblieben.
Dementsprechend
schwankten die Reaktionen auf den Transfer auch zwischen Stirnrunzeln
und Zurückhaltung. „Ich habe mir gedacht, dass das keine gute
Entscheidung ist“, sagt Andreas Heraf, der Gucher wenige Wochen später
als U18-Teamchef betreuen sollte, rückblickend.
„Frosinone war
ein kleiner, aber sehr seriöser Verein. Der Plan war, dass Gucher und
Elsneg sich dort weiterentwickeln und letztendlich einmal in der Serie A
landen“, erläutert Hagmayr die Beweggründe hinter dem Transfer.
Eine neue Welt
Als Teenager ohne ernstzunehmende Sprachkenntnisse in einem fremden
Land, weg von den Freunden und der Familie. Es gibt Dutzende von
Beispielen, bei denen junge Kicker an dieser Herausforderung gescheitert
sind.
Elsneg erzählt: „Das war eine spannende Zeit. Wir
konnten uns vorher gar nicht ausmalen, wie verschieden die Kulturen
sind. Man kennt Italien als Österreicher ja nur von Lignano oder Gardo.
Essen, Hitze, Pünktlichkeit – wir waren uns all der Kleinigkeiten, die
so anders sind als in Österreich, nicht bewusst.“
Bild: getty
Herbst 2009: Gucher bei Frosinone
Gucher berichtete im Herbst 2009, also nach seinem ersten Jahr in
Frosinone: „Den ganz italienischen Stil brauche ich nicht wirklich. Die
stehen teilweise erst um 11 Uhr auf. Wir haben ja nichts zu tun. Wir
trainieren nur einmal am Tag, nur einen Tag in der Woche gibt es zwei
Trainings. Ich bin eher der Typ, der früher aufsteht und sich eine
Beschäftigung sucht. Einfach nur raus. Sonst wirst du müde im Kopf. Wenn
du nur aufs Training wartest, vergeht die Zeit nicht.“ Das klang nicht
so, als ob er angekommen wäre.
Ein Sprint zum Last-Minute-Transfer
Dabei lief es nach einer Saison in der Primavera, dem ältesten
Nachwuchs-Team, gar nicht so schlecht. Nach guten Vorstellungen in der
Jugend hatte Juventus ein Angebot vorgelegt, das wegen der
Aussichtslosigkeit, dort halbwegs zeitnah bei den Profis Fuß zu fassen,
ausgeschlagen wurde. Bei Frosinone verdiente sich Gucher indes seine
ersten Sporen in der Serie B – zehn Einsätze im Herbst 2009.
Als Teenager, der in der zweiten Liga mehr oder weniger regelmäßig sein
Können zeigen durfte, weckte der Steirer Begehrlichkeiten. Weil
Frosinone aber 1,8 Millionen Euro für 50 Prozent der Transferrechte
ausrief, winkten einige Klub, wie etwa Udinese, aber wieder ab.
Am finalen Transfertag im Jänner 2010, als wie immer hektisches Treiben
im Mailänder Ata-Hotel herrschte, sprintete Hagmayr von Loge zu Loge
und fixierte 30 Sekunden vor Ende der Deadline Guchers leihweisen
Wechsel zum Genoa CFC.
Teil einer goldenen Generation
„Das war eine kuriose Geschichte, weil es eigentlich nicht so geplant
war“, lachte Elsneg. Denn plötzlich waren die beiden Freunde Rivalen.
Elsneg hatte währenddessen nämlich bei Stadtrivale Sampdoria
unterschrieben.
Gucher fand sich also plötzlich beim ältesten
noch heute existierenden Verein des Landes wieder. In der Primavera war
der Mittelfeldspieler Teil einer goldenen Generation der „Grifone“.
Seite an Seite mit Mattia Perin und Stephan El Shaarawy gewann der
Steirer sensationell die Nachwuchs-Meisterschaft durch einen 2:1-Sieg im
Finale gegen den FC Empoli. Im Halbfinale hatte er seinen Freund Elsneg
mit 4:1 ausgeschalten.
Und in diesem Frühjahr hätte Gucher
auch fast sein Debüt in der Serie A gefeiert. „Vor dem Spiel gegen den
AC Milan in der vorletzten Runde hat mir der Trainer bereits am Vortag
gesagt, dass er mich einwechseln wird. In der Pause habe ich aufgewärmt,
doch verletzungsbedingt musste dann doch anders getauscht werden“,
erzählte er im Juni 2010.
Bild: GEPA
Zurück in Österreich, Gucher als Bundesliga-Spieler beim KSV
Die Heimkehr
Trotzdem ging es nach einem halben Jahr zurück zu Frosinone. 2,6
Millionen Euro Ablöse für 100 Prozent der Transferrechte dürften Genoa
damals schlichtweg zu hoch gewesen sein. So richtig glücklich wurde
Gucher aber nicht, er kam nur selten zum Spielen.
„Gucher und
Elsneg wollten heim – nicht aus sportlichen, sondern eher aus privaten
Gründen. Ich war über diese Entscheidung nicht sehr glücklich, habe sie
aber respektiert“, sagt Hagmayr über den Winter 2010/11. Der
Kapfenberger SV schnappte sich das Duo.
Wir haben Gucher mit
großen Erwartungen nach Kapfenberg geholt. Er hatte die U20-WM in
Kolumbien als Ziel, wollte also Spielpraxis sammeln. Insofern war es
eine Win-Win-Situation“, meint Werner Gregoritsch, der damals Trainer
der „Falken“ war.
"Er hat mit sich selbst gehadert"
„Ein sehr guter Fußballer mit einer ausgezeichneten Schusstechnik.
Außerdem hat er eine sehr hohe Spielintelligenz. Er war taktisch
hervorragend ausgebildet, hat immer genau gewusst, in welchen Raum er
sich bewegen muss. Auch das Umschaltverhalten hat er sehr gut gekonnt.
Ich habe ihn als Vollprofi kennengelernt“, sagt der aktuelle
U21-Teamchef über seinen damaligen Schützling.
Für Gucher
machte sich die Rückkehr zunächst bezahlt. Er spielte in der Bundesliga
und schaffte den Sprung in den Kader für die U20-WM 2011 in Kolumbien.
Zurück aus Südamerika kam er in seiner ersten und einzigen vollen Saison
beim KSV aber nicht mehr in Fahrt.
”Die Problematik bei
solchen Spielern ist oft, dass sie ungeduldig werden, wenn ihr
Karriereplan nicht so aufgeht, wie sie sich das vorgestellt haben“
Gregoritsch über Gucher
Gregoritsch beschreibt den heute 24-Jährigen als „sehr intelligent“.
Nachsatz: „Die Problematik bei solchen Spielern ist oft, dass sie
ungeduldig werden, wenn ihr Karriereplan nicht so aufgeht, wie sie sich
das vorgestellt haben. Dann fangen sie an, sich selbst und vieles mehr
zu hinterfragen. Er hat damals mit sich selbst sehr gehadert.“
Aus dem Mannschaftsfoto entfernt
Außerdem sei Gucher die Spielanlage der „Falken“ damals nicht wirklich
entgegengekommen: „Das war ein Team, das vom Kampfgeist gelebt hat, da
waren keine großartigen Fußballer dabei. Deshalb war es für ihn auch
nicht einfach. Und er hatte im Zweikampfverhalten Defizite.“
Als Gregoritsch Ende des Jahres 2011 seinen Hut nehmen musste und Thomas
von Heesen die Steirer – letztlich vergeblich – vor dem Abstieg zu
retten versuchte, brach für Gucher eine ganz schwere Zeit an. Im
Frühjahr 2012 stand er kein einziges Mal im Kader. Im Mannschaftsfoto,
das im Jänner 2012 aufgenommen worden war, wurde nachträglich sogar der
Kopf von Neuzugang Haruna Babangida auf Guchers Körper montiert. Kurzum,
Gucher war praktisch kein Teil des Teams mehr.
Also musste
sich Hagmayr nach einem neuen Klub für Gucher umsehen: „Es gab in
Österreich nichts, was Sinn gemacht hätte. Also habe ich ihm
vorgeschlagen, wieder zu Frosinone zu gehen. Diesen Vorschlag hat er
angenommen.“
Zwei bekannte Gesichter
„Es hat mich
überrascht, dass er nochmal dorthin gegangen ist“, sagt Heraf. Er selbst
habe Gucher stets sehr geschätzt: „Er war ein Vorzeigespieler. Von
seiner Einstellung und seinem Eifer her hat er das Potenzial zum
Lieblingsspieler eines Trainers. Er war taktisch sehr clever. Er konnte
auf dem Platz viel organisieren und seine Mitspieler führen. Sein
Passspiel war ausgezeichnet, er hat sehr präzise lange Bälle gespielt.“
Zurück in Frosinone. Zurück in der alten Heimat, die sich doch ein
wenig verändert hatte. Die Blau-Gelben hatten in der Zwischenzeit den
Abstieg in die dritte Liga hinnehmen müssen. Dennoch erkannte Gucher
sofort zwei vertraute Gesichter: Präsident Maurizio Stirpe, der als
großer Fan des Österreichers gilt und auch die 50 Prozent der
Transferrechte von Genoa zurückgekauft hatte, und Roberto Stellone, mit
dem der Steirer in seiner ersten Zeit in Italien noch zusammengespielt
hatte, der nunmehr aber Trainer geworden war.
Bild: getty
Der "Austrociociaro" mit der rot-weiß-roten Kapitänsschleife
Plötzlich Führungsspieler
In der Lega Pro flog Gucher aus österreichischer Sicht zwar unter dem
Radar, in Frosinone war sein Ansehen aber gestiegen. Durch die
Erfahrungen, die er in den Jahren davor gesammelt hatte, nahm er die
Rolle eine Führungsspielers ein und auch an. Der „Centrocampista“ wurde
zur unumstrittenen Stammkraft.
Es scheint, als wäre es Liebe
auf den zweiten Blick gewesen. Gucher fühlte sich in der römischen
Provinz pudelwohl. „Er spricht mittlerweile ja auch perfekt italienisch,
sogar deren lokalen Dialekt“, sagt Hagmayr.
Die Menschen in
Frosinone, „Ciociari“ genannt, sehen in dem Steirer keinen Legionär
mehr. „Er zählt nicht als Österreicher, sondern als einer der ihren“, so
Hagmayr. Der beste Beweis: Gucher wird „Austrociociaro“ genannt.
Der sensationelle Durchmarsch
Im zweiten Jahr mit Gucher in der dritten Liga gelang dem Klub die
Rückkehr in die Serie B. In einem Verlängerungskrimi gegen US Lecce
setzte sich der Underdog im Aufstiegsplayoff, zu dessen MVP der
ÖFB-Legionär gekürt wurde, durch.
Diashow
Ein neuer Klub für die Serie A!
Ein neuer Klub für die Serie A!
Der Mittelfeldspieler hätte sich die zweite Liga im vergangenen Sommer
ersparen können. Zahlreiche Serie-A-Klubs waren an einer Verpflichtung
interessiert. Doch er entschied sich für einen Verbleib bei Frosinone.
Wenn er in die höchste Liga wechseln sollte, dann nicht als einer von
unzähligen Kaderspielern, sondern als potenzielle Stammkraft. Und dafür
musste noch eine starke Saison in der Serie B her.
Es wurde
aber keine starke Saison, sondern eine sensationelle. Völlig
überraschend ist Frosinone nämlich der Durchmarsch gelungen. Am
vorletzten Spieltag wurde Platz zwei, der zum Direktaufstieg berechtigt,
fixiert. Ein Wunder, das jenem von Zweitliga-Meister Carpi (LAOLA1 hat
berichtet) um nichts nachsteht.
Die Erfüllung eines Traums
Wie das gesamte Team hat auch Gucher in den vergangenen Monaten noch
einmal einen großen Entwicklungsschritt gemacht. Er zählte zu den besten
zentralen Mittelfeldspielern der Liga und übernahm im Laufe der Saison
sogar die Kapitänsschleife – als Legionär in Italien eine Ehre, die
nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Was im Sommer 2008 –
und auch in den Jahren danach – kaum jemand für möglich gehalten hat,
ist wahr geworden: Robert Gucher hat sich seinen Traum von der Serie A
erfüllt. Und das nicht als x-beliebiger Kaderspieler, sondern als
Kapitän des Sensationsaufsteigers.
Harald Prantl / Laola 1
http://www.laola1.at/de/